NACHRUF AUF DOREEN TAUBERT
VOM VEREIN LÄNGER GEMEINSAM LERNEN – GEMEINSCHAFTSSCHULE IN SACHSEN e.V.
„Sie haben die Chance, ein neues Kapitel in der sächsischen Demokratie zu schreiben.“ Diese Worte richtete Doreen Taubert im Januar 2020 vom Redepult des gläsernen Dresdner Plenarsaals aus an die Abgeordneten im sächsischen Landtag. Dabei war sie selbst diejenige, die ein neues Kapitel in der sächsischen Demokratie schrieb.
Als Vertrauensperson für den Volksantrag „Länger gemeinsam Lernen in Sachsen“ brachte sie den Gesetzentwurf im Plenum ein. Die Rede war nicht nur ein Novum in der sächsischen Parlamentsgeschichte, denn die bis dahin geltenden Gepflogenheiten kannten keine Sprechbeiträge von Bürgerinnen und Bürgern ohne Amt. Vor allem war die Rede der vorläufige Höhepunkt eines langen Weges, den Doreen Taubert entscheidend mitgeprägt hatte.
Seit 1985 war sie mit Herzblut Lehrerin, von 1993 bis 2013 unterrichtete sie zehn Jahre lang am Chemnitzer Schulmodell – einer Gemeinschaftsschule, die gleich nach der Wende von Lehrkräften und Eltern gemeinsam initiiert wurde. Selbstständiges Lernen, Noten erst ab Klasse acht, Wochen- und Morgenkreise, Schülerrats- und Werkstattarbeit: all dies macht bis heute das besondere pädagogische Profil dieser Schule aus. Und Doreen Taubert lebte diese Ideen mit ganzem Herzen, in Chemnitz genauso wie später an der Oberschule Niederwiesa. Sie lebte diese besondere Haltung jungen Menschen gegenüber, verstand sie in ihrer Individualität, ihren Interessen und sozialen Bedürfnissen. „Die Gemeinschaftsschule steht für Ermutigung statt Stress und Abgrenzung, für Gruppenintegration statt Konkurrenzdenken“, legte sie den Abgeordneten in ihrer Rede dar. „Im Fokus steht das einzelne Kind. Es geht nicht nur um seine Leistungsmöglichkeiten, sondern auch um soziale und kommunikative Fähigkeiten. Es geht darum, junge Menschen zu gegenseitiger Achtung, zu Teamwork und friedlicher Konfliktlösung zu erziehen. Dieses Ansinnen teilen 50.120 Sächsinnen und Sachsen, die den Volksantrag unterzeichnet haben.“
Als leidenschaftliche Pädagogin wünschte sie sich natürlich, dass alle sächsischen Schulen Gemeinschaftsschulen wären, lieber heute als morgen. Deshalb fiel es ihr durchaus nicht leicht, mit dem Volksantrag für das sogenannte optionale Modell zu werben. Dieses führt Gemeinschaftsschulen nur als Ergänzung zum sächsischen Schulsystem ein. Damit eine solche Schule entsteht, braucht es die Gemeinsamkeit vor Ort, von Eltern, Lehrkräften und dem Schulträger. Das ist nicht immer einfach und oft ein langer Prozess. Doch Doreen Taubert war genauso leidenschaftlich Demokratin. Respekt hieß für sie auch immer die Anerkennung anderer Perspektiven, in der Schule genauso wie im Bündnis „Gemeinschaftsschule in Sachsen – Länger gemeinsam Lernen“ und in der Politik. Daher warb sie im Plenum eindringlich: „Sie sehen, dass der Volksantrag bereits den Kompromiss mitdenkt. Sie haben die Chance, dem Volk durch die unveränderte Annahme des Volksantrages zu signalisieren, dass Sie genau hinhören, dass Sie Initiativen verstehen, ihre Arbeit würdigen und einen vom Volk erarbeiteten Gesetzentwurf respektieren.“
Zu einer völlig unveränderten Annahme konnte sich die Mehrheit des Sächsischen Landtages zwar nicht durchringen. Doch trotz der zusätzlich im Schulgesetz verankerten Hürden sind heute, gerade einmal vier Jahre nach Änderung des Schulgesetzes, schon zahlreiche Gemeinschaftsschulen in Sachsen eingerichtet. „Unser Gesetzentwurf setzt auf den Gestaltungswillen vor Ort“ sagte Doreen Taubert in ihrer Rede. Der ist groß, wie die Entwicklung zeigt: Die Arbeit der neuen Gemeinschaftsschulen ist äußerst erfolgreich, ihre Anmeldelisten sind Schuljahr für Schuljahr überfüllt.
Doreen Taubert hat das Gemeinschaftsschulbündnis geprägt und verkörpert wie keine Andere. Wenige Tage vor der Landtagswahl ist sie an den Folgen ihrer Krebserkrankung verstorben. Unendlich viel bleibt von ihr auf dieser Welt, in ihrem Familien- und Bekanntenkreis genauso wie an den Schulen, an denen sie tätig war, bei den Kollegien und natürlich bei ihren Schülerinnen und Schülern. Und es bleibt ein neues Kapitel im sächsischen Schulsystem. Das ist binnen kurzer Zeit zum Bestseller geworden.
Unsere Gedanken sind bei ihrer Familie und ihren Freunden. Uns allen bleibt sie mit ihrem Engagement und ihrer Herzlichkeit in bester Erinnerung. Sie hat Spuren hinterlassen, die uns weiterbewegen und die bleiben werden.