Entkräftung von Gegenargumenten

Das sächsische Schulsystem ist bewährt und wird durch Experimente nur gefährdet.

Keine Frage: In einer Welt, die sich so rasend schnell ändert wie unsere, wünschen wir uns Sicherheit. Veränderungen geraten schnell unter den Verdacht, (weitere) Unsicherheit zu provozieren. Aber gilt nicht auch für das Schulsystem, dass nur das wirklich gut ist, was ständig verbessert wird? Wir wollen eine Debatte darüber anstoßen, wie an unseren Schulen gelernt und gelehrt wird.

Das gegliederte Schulsystem entstand in einer Zeit, als Gehorsam in der Schule wichtiger war als die Persönlichkeit der Schülerin oder des Schülers, geschweige denn der Lernerfolg. Hinter diesem Modell stehen keine bildungswissenschaftlichen Studien, sondern die vordemokratische Epoche. „Wenn wir die Kinder des 21. Jahrhunderts von Lehrern mit einem Ausbildungsstand des 20. Jahrhunderts in einem Schulsystem unterrichten lassen, das im 19. Jahrhundert konzipiert wurde und sich seitdem nur graduell verändert hat, dann kann das so nicht funktionieren“, so Andreas Schleicher, internationaler Leiter der PISA-Studie. Die eigentlich wichtige Frage lautet doch: Wie können wir unsere Kinder bestmöglich qualifizieren?

Überall fehlen Lehrkräfte. Und jetzt wollt ihr auch noch die Schulen umkrempeln?

Längeres gemeinsames Lernen hilft auch gegen Lehrkräftemangel und Schulschließungen. Denn wenn es auch diese Form des pädagogischen Konzepts gibt, heißt das auch, dass einerseits Standorte der bisherigen Schulformen organisatorisch (nicht räumlich!) zusammengeführt werden können, wodurch sich die Mindest-Schülerzahlen leichter erreichen lassen. Andererseits stünde dann auch eine Reform des Lehramtsstudiums an, das sich dann nicht mehr nach Schularten, sondern nach Schul- bzw. Altersstufen richten müsste. Dann würden keine Schulartlehrer mehr ausgebildet, sondern Stufenlehrer, die flexibel einsetzbar sind. Auch das würde die Personalprobleme entspannen.

Wir wollen die Schulen auch nicht verpflichten, das längere gemeinsame Lernen umzusetzen, sondern ihnen nur im Schulgesetz die Möglichkeit geben, sich dafür zu entscheiden.

Die guten PISA-Ergebnisse zeigen doch, dass Sachsen mit seinem Schulsystem richtig liegt.

Sächsische PISA-Erfolge haben weniger mit der Gliedrigkeit des Schulsystems zu tun als vielmehr mit der professionellen Arbeit der Lehrkräfte. Gegliedert ist das Schulsystem auch anderswo, und trotzdem fallen dort die Ergebnisse wenig positiv aus. Pisa beweist nur, dass die Wissensvermittlung in Sachsen gut zu funktionieren scheint. Denn das ist Pisa: ein Wissensvergleich beziehungsweise das Abfragen eines Lernstandes in Schulfächern wie Mathematik oder Deutsch in bestimmten Klassenstufen. Schön, wenn sächsische Schüler hier gute Ergebnisse erzielen. Wissen zu erlangen ist eine wichtige Aufgabe in der Schulbildung!

Aber trotzdem sollte die Frage erlaubt sein, ob damit die Güte des Schulsystems insgesamt nachgewiesen ist. Wie steht es mit anderen Faktoren in der Bildung, jenseits der Wissensvermittlung? Wie gut kann Wissen angewendet werden? Wie stark sind soziale, menschliche Werte im sächsischen Schulsystem erlernbar? Wie wird Gemeinschaft gelebt und geachtet? Welchen Stellenwert hat demokratische Bildung?

Sachsens Schulsystem ist durchlässig. Man kann jederzeit auch später noch auf das Gymnasium wechseln.

Das ist leider nur selten der Fall. Wer einmal auf der Oberschule gelandet ist, hat es schwer, noch ans Gymnasium zu wechseln. Das belegen Zahlen aus dem aktuellsten sächsischen Bildungsbericht (2013): Nur etwa 400, das sind 0,4 Prozent der Oberschüler, haben im Schuljahr 2011/12 den Sprung auf das Gymnasium noch geschafft. Dem gegenüber stehen etwa 1.300 Gymnasiasten, das sind zwei Prozent der Gesamtanzahl, die auf die Oberschule abgestuft wurden. Zum Schuljahresbeginn 2016/17 kamen nur  825 Oberschülerinnen und -schüler nach der Klasse 5 oder später noch auf das Gymnasium, 1.054 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten wurden „abgeschult“ (Landtags-Drucksache 6/6731).

Das Abitur kann man zwar später auch noch an einem beruflichen Gymnasium ablegen, jedoch ist der Weg dahin länger: Die Schüler müssen für drei statt für zwei Jahre die Schulbank drücken.

Wenn die Kinder nach Leistung aufgeteilt werden, ist die bestmögliche Förderung jedes Einzelnen gewährleistet.

Nein! Gemeinsam lernt es sich besser: Das zeigen neben den internationalen Schulleistungsstudien auch die Begleitforschungen der Gemeinschaftsschulen in Deutschland. Sowohl leistungsschwache als auch leistungsstarke Schüler werden gefördert, wie die Evaluation der Gemeinschaftsschulen in Berlin ergab. Bei einem sächsischen Schulversuch gehörten die Gemeinschaftsschulen in Leipzig und Chemnitz zur Spitzengruppe. Außerdem lässt sich die Leistungsfähigkeit eines Kindes nicht verlässlich beurteilen, wenn es erst zehn Jahre alt ist.

Die Gemeinschaftsschule ist leistungsfeindlich und macht gleich, was ungleich ist – das Ergebnis ist Mittelmaß für alle.

Auch in der Gemeinschaftsschule sind alle Schulabschlüsse möglich. Wer einen höheren Abschluss erlangen will, muss also auch dort Leistung bringen.

Den Vorwurf der Leistungsfeindlichkeit kann man dem gegliederten Schulwesen übrigens auch machen – denn es besteht aus Einheitsschulen, die meist frontal und kaum individualisiert unterrichten. Zwar kann an den Gymnasien schneller Wissensstoff vermittelt werden, jedoch herrscht dadurch häufig großer Leistungsdruck, mit dem viele Kinder nicht zurechtkommen. Die Folge sind psychosomatische Beschwerden, oder es müssen teure Nachhilfestunden genutzt werden. Davon profitieren nur Kinder, deren Eltern sich diesen Luxus leisten können. In den Oberschulen fehlt es indes an leistungsmäßigen Vorbildern. Die Schüler passen sich dem herrschenden Leistungsniveau an (Pygmalioneffekt). Nicht selten bleiben die Besseren weit unter ihrem möglichen Leistungsstand.

Das gegliederte Schulwesen bietet kein leistungsförderndes Lernumfeld für alle. Es kommt doch darauf an, die individuellen Leistungsvoraussetzungen mit entsprechenden Leistungsanforderungen in einer entsprechenden Lernumgebung zu kombinieren. Längeres gemeinsames Lernen schafft ein solches leistungsförderndes Lernumfeld für alle Schülerinnen und Schüler, damit sie zeigen können, was in ihnen steckt. Bisher sind die Lernzuwächse in den unterschiedlichen Schularten selbst bei gleicher Begabung gravierend unterschiedlich. Die Gemeinschaftsschule ist vielfältig, sie will die Begabungen aller Kinder herauskitzeln, anstatt viele von ihnen von vornherein auszusortieren. Leistungsstarke und Leistungsschwächere lernen dann fachlich und sozial voneinander. Vorbilder werden nicht an Gymnasien konzentriert, sondern zeigen sich überall und heben das Leistungsniveau.

Es ist wissenschaftlich doch gar nicht nachgewiesen, dass die Gemeinschaftsschule besser ist.

Die Gemeinschaftsschulen durften sich in Sachsen noch gar nicht bewähren, wenn man von den wenigen Schulversuchen absieht. Deren Ergebnisse disqualifiziert die Landesregierung allerdings mit dem Hinweis ab, sie ließen sich nicht verallgemeinern. Für die Aussage, das gegliederte sei das Beste aller Schulsysteme, gibt es indes ebenfalls keine Belege. Nachgewiesen ist hingegen zum Beispiel, dass das sächsische Schulwesen mancherorts bis zu ein Zehntel der Jugendlichen ohne Abschluss lässt. Das können wir uns nicht leisten.

Ein solches „Schulhausbauprogramm“ (Frank Haubitz) bringt doch nichts!

„Alle sollen unter einem Dach lernen“ heißt mitnichten, dass es um Schulgebäude geht. Schulen können allenfalls organisatorisch verbunden und dadurch leichter erhalten werden. Nein, es geht um besseres Lehren und Lernen, damit kein Kind auf der Strecke bleibt!